Freitag, 7. September 2012

out off topic

Soziale Räume gesucht: wie das Internet das Fernsehen ablöst

Francesco Casetti und Roger Odin haben im Jahre 2002 die Entwicklung vom Paläo- zum Neo-Fernsehen beschrieben. Die zentrale These besagt, dass Neo-Fernsehen Bezugspunkte setzt, die der Zuschauer aus eigener Erfahrung kennt und in seinen Alltag einbeziehen kann. Auch wird der Zuschauer scheinbar aktiv in das Fernsehen eingebunden. Die Erfüllung des Kommunikationsvertrags ist nicht mehr Sinn des Fernsehens, sondern lediglich ein Raum des sozialen Zusammenseins. Unter Betrachtung der Aspekte wie sich das Fernsehen laut Casetti und Odin entwickelt hat, erklärt sich, dass das Internet als Weiterentwicklung zur Befriedigung der sozialen Bedürfnisse zu betrachten ist und dort ansetzt, wo Fernsehen an seiner Grenze angekommen ist.

Während das s.g. Paläo-Fernsehen (die Anfänge des Fernsehens) einen Kommunikationsvertrag, in Form eines Bildungsauftrag erfüllte, ist das Neo-Fernsehen, (das, was wir jeden Tag sehen) die Inszenierung eines sozialen Raumes.

Was ist Neo-Fernsehen?
Charakteristisch für das Neo-Fernsehen sind die sogenannten Omnibussendungen: Fernsehen besteht aus einzelnen Segmenten mit eigenem Inhalt, Titel und Struktur, die ineinander verflochten sind. Die Segmente sind alle miteinander verbunden, was zu einem flow – Effekt führt. Dieser vermittelt den Eindruck von Kontinuität in vertikaler (auf einem Sender) wie auch, dank der Fernbedienung, in horizontaler Richtung (beim Zapping).

Die Aufgabe des Zuschauers beschränkt sich auf die Übernahme der gesehenen Szenen in den eigenen Erfahrungshorizont. Das Fernsehen bietet eine Form an, die der Zuschauer mit Inhalt füllen muss, d.h. der Zuschauer muss den Sinn des Fernsehens produzieren. Das führt dazu dass es eigentlich keine wirkliche Zuschauerorientierung mehr geben kann, Die Motive, weshalb eine Sendung gesehen wird, können so stark voneinander abweichen, dass keine Zielgruppe erkennbar ist. In der Praxis heißt dies: Eine Talkshow bietet für eine Zielgruppe Orientierung, während sie für eine andere Zielgruppe zur Belustigung dient. Das Neo-Fernsehen ist folglich nicht an Zielgruppen orientiert, (der Zuschauer gehört keinem Publikum an) sondern jeder Zuschauer hat andere Motive, die sich nicht verallgemeinern lassen. (Vrgl.: Ien Eng „Zuschauer, verzweifelt gesucht“)

Fernsehen veranlasst den Zuschauer dem Gesehenen Sinn zu verleihen, somit findet eine passive Interaktion statt. Der Zuschauer füllt das Gesehene mit „seinen“ Inhalten, und baut sich so seinen sozialen Raum auf.

Fortsetzung: Internet?

Was mit dem Neo-Fernsehen begann, wird erfolgreich über das Internet fortgesetzt. Ähnlich wie das Palaö-Fernsehen, also die Ursprungsform des Fernsehens, hat auch das Internet als Informationsplattform seinen Anfang genommen. Im Laufe der Jahre hat es sich weiter zum sozialen Raum entwickelt. Ähnlich wie das Neo-Fernsehen ist auch hier ein deutlicher Flow-Effekt zu erkennen, der Werbung, Information und Interaktion ineinander übergehen lässt; Horizontal auf einer Site oder vertikal über Verlinkungen. Durch die Selektion durch den Nutzer, ist ebenfalls, wie beim Neo-Fernsehen, die Zielgruppe nicht eindeutig identifizierbar. Jeder Nutzer besucht aus unterschiedlichen Motiven bestimmte Seiten.

Wie auch das Neo-Fernsehen setzt das Neo-Internet Bezugspunkte zum persönlichen Erleben. Z.B. durch Blogs, die der Nutzer aus eigener Erfahrung kennt und in seinen Alltag einbeziehen kann, dadurch verleiht er dem Blog einen Wert. Der Nutzer ist Zuschauer, Begutachter und Teilnehmer in einer Person. Im Neo-Internet hat der User allerdings den Vorteil, dass er, bei Bedarf, die passive zu einer aktiven Interaktion weiterführen kann, indem er mit dem „Produzenten“ oder anderen Akteuren in Kontakt treten kann.